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hartwig knack
In Kurt Spitalers Werken zeigt sich das physische Arbeiten des Verspannens der einzelnen Baum- oder Astteile mit Schnüren oder Seilen ganz deutlich. Es ist nicht nur offensichtlich, sondern auch unmittelbar nachvollziehbar. Spitaler verfremdet Dinge des Alltags. In diesem Fall sind es Bäume und Äste. Sofort stellt sich so etwas
wie Vertrautheit ein. Jeder hat schon einmal Fragmente von Bäumen, von denen die Rinde durch Wind und Wetter heruntergewaschen wurde, gesehen. An Flussläufen finden sich solche Stücke oder auch am Meer. Jeder hat schon einmal Dinge vernäht oder auch zusammengebunden und wenn es nur die eigenen Schnürsenkel waren. Nur die Kombination von Holz und dem Vernähen ist es, was ungewöhnlich oder besonders ist. Und hier greift in gewisser Weise auch die surreale Sprache. Die Kombination von ausgehöhltem Holz und dem Vernähen desselben mit farbigen Seilen.
Spitalers inhaltlicher Fokus ist aber wohl am ehesten mit Umschreibungen wie „Genau hinschauen“, einen „Blick hinter die Dinge wagen“ zu erläutern, oder „sich Geschichten oder Sachverhalten differenziert zu nähern“, „den Blick hinein in den Kern der Sache legen“.
Dieser Ansatz ist es, der dieses vorsichtige Aushöhlen und
Segmentieren der Bäume und Äste nach sie zieht. Dieses Untersuchen und Zerlegen. Spitaler legt gleichsam das Innere frei; fragmentiert, bearbeitet die Einzelteile und montiert sie wieder. Anden Stellen, wo der Baum beschädigt war, zeigen sich jetzt im vollendeten Kunstwerk
fein ausgearbeitete Löcher. So entstehen Brüche, Durchblicke und Einblicke in den Stamm, respektive in den Ast. Und das ist das, was Kurt Spitaler mit dem Begriff der Spurensuche umschreibt: Recherchieren, nachspüren, einer Sache auf den Grund
gehen. Auch im übertragenen Sinne zu fragen: Was hält die Dinge zusammen? Um das dann durch Zerlegen und neu Montieren sichtbar zu machen. Dinge und Sachverhalte, Fakten, Ereignisse in ihrer Facettenhaftigkeit von allen Seiten betrachten. Und dieser Anspruch spiegelt sich nicht zuletzt darin, dass seine Objekte auch in unterschiedlichen Positionen aufgestellt werden können. Je nach
Ausstellungsraum, je nach den örtlichen Möglichkeiten oder Bedürfnissen setzt Kurt seine Plastiken in Szene. Und wir sehen die Arbeiten immer wieder neu. Wir haben die Möglichkeit uns den Arbeiten immer wieder aus einer neuen inhaltlichen, formalen und räumlichen Perspektive heraus zu nähern.
2016 Hartwig Knack, Kunsthistoriker und Kurator (anlässlich einer
Ausstellung im Basement, Wien)
theresia hauenfels
fil conducteur
Sucht man im bildhauerischen Schaffen von Kurt Spitaler den „fil conducteur“, den roten Faden, wird bei einer ersten Bestandsaufnahme deutlich: bei den Arbeiten handelt es sich maßgeblich um Composita. Auf die sprachliche Ebene umgelegt, könnte man bei den modularen Teilen von Morphemen sprechen, die als kleinste Einheit eine Bedeutung bzw. eine Funktion tragen. Zusammenhalt finden die Elemente oftmals durch Seile, die vernäht werden, aber auch durch Steckverbindungen in Kunststoff. Die Zusammensetzung der Komponenten ist nicht unbedingt heterogen. Der Künstler bleibt innerhalb der einzelnen Arbeit dem gewählten Material treu. Weil zusammenfindet, was zusammengehört? Im Fall des Kochtopfes, dessen Deckel angenäht ist, mag dies stimmen. Die Skurrilität zweier schwarzer Plastikeimer aus dem Baumarkt, die ihrer ursprünglichen Funktion entbunden und an einander genäht wurden, wird zur Deklination des Spiels vom Innen und Außen. In jenen Arbeiten, deren Stofflichkeit bewusst transparent gehalten ist, wird die Öffnung noch weitergeführt und die Grenzen der Durchlässigkeit verschoben. Die Hülle birgt jedoch keinen Kern: Sie ist per se das Objekt. Denn im Gegensatz zur Worthülse, die entsteht, wenn ein Begriff bis zur Sinnentleerung abgenutzt wird, entfaltet sich bei Kurt Spitalers Zugang so etwas wie Freiraum. 70 Tage hat der Künstler ein transparentes Tagebuch geführt, deren scheinbare Inhaltslosigkeit dem Betrachter eine ideale Projektionsfläche bietet.
Variation und Serie sind – ähnlich der Flexion im Sprachgebrauch – Teil des künstlerischen Prinzips. Die Reduktion auf wenige Farben, die sich aus dem verwendeten Material in seiner konsequenten Verwendung als Rohstoff ergibt, geht mitunter auf technische Voraussetzungen zurück. Die Kunststoffseile, die er zum Nähen verwendet – so erklärt der Bildhauer – sind in Schwarz extrem spröde und fallen daher zur weiteren Verwendung als Produkt aus. Am meisten hält dagegen die Ausführung in Rot aus, das als Seil aufgrund seiner Zusammensetzung nicht nur sehr elastisch ist, sondern als Farbe zugleich für Vitalität steht. Der exakte Kolorit wechselt je nach Charge. Das Prinzip der additiven Verknüpfung, bei der jener Kontrastfaden, der die Komposition zusammenhält, die Partie eines Bedeutungsträgers übernimmt, wird über die Betonung der Kontur hinaus in manchen Arbeiten zur rein grafischen Struktur der Oberfläche weiterentwickelt. Die Regelmäßigkeit des Musters wird in wenigen Objekten bewusst gebrochen. Diese Divergenz ist jedoch deutlich schwieriger herzustellen und bedarf einer detaillierteren Planung als die klare Ordnung der Dinge.
Der Kontrast zwischen organischen Formen, die aus der Wahl des Werkstoffes Holzes hervorgehen, und technoiden Stoffen im Werk Kurt Spitalers ist auffällig und bedeutet zugleich die Überwindung der konkreten Substanz zugunsten von Idee und Form. Das Grundmotiv – die Coniunctio – setzt sich aus mehreren Strängen zusammen: „Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören.“ (Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandschaften)
2013 Theresia Hauenfels, Kunsthistoriker und Kuratorin
silvie aigner
Kurt Spitaler verwendet bevorzugt für seine Skulpturen Holz und Alltagsgegennstände, wobei ihm eine ausgesprochene Vorliebe für weiße und schwarze Plastikkübel nicht abgesprochen werden kann. Aus diesen Werkstoffen entstehen durch die Verbindung mit Kunststoffseilen und Borsten ungewöhnliche Objekte, die den herkömmlichen Gattungsbegriff des Skulpturalen bewußt überschreiten. Spitaler gelingt es in seinen Skulpturen eine gewisse Leichtigkeit einzuschreiben, die sich sowohl über die Form als auch über das Material manifestiert. Die Reduktion auf einfache Grundformen und das Prinzip des Seriell-additiven bestimmen die prägnante Wirkung seiner Arbeiten – die spielerische Detailverliebtheit kommt erst nach Festlegung der Grundformen hinzu. Der profan – banale Baukübel wird in Verbindung mit einer Unzahl an Kabelbindern zu etwas völlig Neuem. Aus dem funktionalen Alltagsgebrauch herausgelöst wird er zu einem skulpturalen Objekt, das jedoch wesentlich über die reine Setzung des „Ready – Made“ hinausgehtund buchstäblich eine „Metamorphose“, so der Titel einer 2010 entstandenen Stelenskulptur, durchläuft.
Auch die Skulptur „200 Liter“ ist an der Schnittstelle zwischen inhaltlich konzeptueller Ausrichtung und reiner Form angesiedelt. Entstanden ist die Arbeit im Oman, als Kurt Spitaler im Rahmen eines von der Künstlerin Sini Coreth iniziierten Kunstprojektes zwei Wochen in Maskat arbeitete. In den Kanistern wird Wasser transportiert, verkauft und aufbewahrt. Wobei – und das ist die Ironie der Arbeit – man sie im Oman gar nicht kaufen kann. Wenngleich sperrig, so doch leicht, nahm der Künstler sie aus Österreich mit. Lapidar bezeichnet der Titel einfach das was es ist. Wesentliches formales Element, so der Künstler, ist die lineare Zeichnung auf dem weißen Plastik. Sie ist jedoch nicht nur grafisches Element sondern verbindet die einzelnen Kanister miteinander und hat so nicht nur ästhetische sondern auch konstruktive Funktion. Die Vernähung mit dem roten Garn bringt die Einzelteile erst zueinander in Beziehung.
Das ist das Charakteristische seiner Objekte: „es handelt sich um Composita“, so die Kunsthistorikerin Theresia Hauenfels. „Zusammenhalt finden die Objekte oftmals durch Seile, die vernäht werden, aber auch durch Steckverbindungen aus Kunststoff. Die Zusammensetzung der Komponenten ist nicht unbedingt heterogen. Der Künstler bleibt innerhalb der einzelnen Arbeit dem gewählten Material treu“. Kurt Spitaler begann bereits während seines Studiums bei Bruno Gironcoli mit Vernähungen. Prägnant ist auch die Reduktion auf wenige Materialien und Farben, die sich aus dem verwendeten Material in seiner konsequenten Verwendung als Rohstoff ergibt. Die Holzobjekte entstehen zumeist aus der – aufwendigen – Umarbeitung von Holzlatten, alten Holzteilen zu prägnanten Skulpturen im Spiel zwischen Hohlraum und Form. Das Prinzip der additiven Verknüpfung, bei der Seile die Komposition, sprich die Holzteile, scheinbar zusammennähen, wird über die Betonung der Kontur hinaus in manchen Arbeiten zur rein grafischen Struktur der Oberfläche weiterentwickelt. In jenen Holzarbeiten, in denen Spitaler einzelne Baum- und Astteile verwendet, wird der Kontrast zwischen organischen Formen und künstlerischer Überarbeitung besonders deutlich. Dabei folgt der künstlerische Eingriff von Spitaler entlang der natürlichen Beschaffenheit des Baumstammes, der unmissverständlich die Form vorgibt – Natur Remixed. Doch auch hier spielt das Thema von Innen und Außen eine Rolle, indem das Baumfragment vom Künstler vorsichtig ausgehölt wird und sich Durch- und Einblicke ergeben. „Spitaler legt gleichsam das Innere frei; fragmentiert, bearbeitet die Einzelteile und montiert sie wieder. An den Stellen, wo der Baum beschädigt war, zeigen sich jetzt im vollendeten Kunstwerk fein ausgearbeitete Löcher. So entstehen Brüche, Durchblicke und Einblicke in den Stamm, respektive in den Ast.“, so der Kunsthistoriker und Kurator Hartwig Knack 2016 zu dieser Werkserie des Künstlers.
Der Raum spielt auch in den neuen stelenartigen Arbeiten, mit dem Titel „Aufräumen“ die in der Ausstellung zu sehen sind, eine zentrale Rolle. Jeweils zwei naturfarbene sowie rot bemalte Holzbretter werden mit Seilen zusammengefügt. Daraus entstehen fünf verschiedene Teile, die zueinander positioniert werden – und das in zahlreichen Variationen. Durch das Zueinander der einzelnen Teile ergibt sich ein Raumgefüge, das ebenso durchlässig wie je nach Aufstellung auch hermetisch vom Umraum abgeschlossen sein kann. So besteht die Möglichkeit für den Betrachter, die Installation immer wieder aus einer neuen formalen und räumlichen Perpektive zu sehen.
Sivlie Aigner, Kuratorin und Chefredakteurin des Parnass 2019 im Katalog zur Ausstellung „A Matter of Form“